Der Handel liefert sich derzeit ein Battle um billiges Bio. Boris Voelkel, Geschäftsführer Einkauf der Naturkostsafterei, warnt vor einer reinen Preisprofilierung und deren Konsequenzen für die Lieferstrukturen. 

Um den Biomarkt voranzubringen, fordert der LEH die Biobranche derzeit auf, „auch jene mit ins Boot zu holen, die noch nicht so weit sind“. Was bedeutet dies für die frühen Biopioniere?

Wenn wir das Ziel von 30 Prozent Bio ernst nehmen, stimme ich dieser Forderung zu. Wir müssen auch den konventionellen Strukturen Zeit einräumen, in die Prozesse hineinzuwachsen. Bio erfordert schon eine andere Denke und eine andere Herangehensweise. Wir dürfen nicht erwarten, dass der LEH von heute auf morgen seine Grundhaltung radikal über den Haufen wirft. Mittelfristig muss aber auch ein nachhaltiges Miteinander im Umgang angestrebt werden. Langfristiges Denken und auch Handeln, Verbindlichkeit und Beziehungsfähigkeit müssen geübt werden, sonst landen wir bei einem Bio, das sich von den konventionellen Strukturen nur unwesentlich unterscheidet und wenig öko-sozialen Mehrwert bietet.

Der Handel puscht derzeit massiv seine preisgünstigen Bio-Eigenmarken und nutzt sie zur eigenen Profilierung im Wettbewerb. Können mit dieser Strategie die bisherigen Wertschätzungs-Netzwerke für Bio erhalten werden?

Die großartigen Worte vieler Nachhaltigkeitsbeauftragten stehen dem Handeln der Einkäufer leider diametral entgegen. Aktuell wird der Kampf um die Gunst der Verbraucher ausschließlich über den Preis und damit – bei steigenden Kosten – auf dem Rücken der Bauern ausgetragen. Während die Marketing-Teams um die Biohoheit im Markt kämpfen, drücken die Einkaufsabteilungen mit teils ruppigen Methoden die Preise. Die Bioverbände fordern zwar mehr Fairness ein, können jedoch kaum in das ungestüme Gebaren der Handelshäuser eingreifen. Auf diese Weise zerstört man systematisch die bestehenden Strukturen.

Welche Konsequenzen haben diese Strategien aktuell für die Bio-Landwirte?

Mittelfristig geht eine reine Preisprofilierung aus meiner Sicht nach hinten los, da die Lieferketten irgendwann zusammenbrechen. Beispielsweise wurden Holunderbeeren und Johannisbeeren aus Osteuropa über Jahre hinweg zu Niedrigstpreisen angeboten, bis die deutschen Landwirte diese Kulturen nicht mehr angebaut haben. Nachdem damit Abhängigkeiten geschaffen wurden, vervierfachen sich jetzt die Preise in Polen. 30 Prozent Bio schaffen wir nur, wenn wir das Vertrauen der Landwirte nicht untergraben. Dabei geht es nicht nur um auskömmliche Preise, sondern auch um Verlässlichkeit. Wenn die aktuelle Entwicklung eine Rückstellungswelle provoziert und das Vertrauen verspielt wird, dann schaffen wir es nicht. Als Vorstand im FairBio-Verein engagiere ich mich daher für den konsequenten Erhalt langfristiger und partnerschaftlichen Strukturen.

Wie können sich mittelständische Biohersteller wie Voelkel bei diesem stürmischen Wind auch zukünftig über Wasser halten?

Bei den Ausschreibungen für Bio im LEH steht derzeit allein der Preis im Fokus. Konkret bedeutet dies dann für uns, dass wir nur die kleinen Mengen an Nischenprodukten verkaufen. Die lukrativen Großaufträge gehen an konventionelle Unternehmen mit ganz anderen Kostenstrukturen. Da müssen wir noch sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, um die fairen Wertschätzungsketten für Bio zu sichern, sonst kippen ganze Lieferstrukturen. Wenn wir jetzt bei den Preisverhandlungen zu sehr auf die Zahlen hinterm Komma fixiert sind, finden die Verhandlungen später vor dem Komma statt.

Mit welcher Strategie kann ein wertebasiertes Bio die aktuellen Krisenzeiten überstehen?

Wir haben durchaus auch Handelspartner, mit denen eine verlässliche und verbindliche Beziehung funktioniert. Dort wird die Situation der Landwirte und der Verarbeiter im ganzen Unternehmen durchgetragen. Wir stellen fest, dass sich resiliente Strukturen in diesen herausfordernden Zeiten extrem bewähren. Voelkel pflegt intensive, persönliche, langfristig gefestigte Beziehungen zu seinen Lieferanten und zu seinen Kunden. Stabilität statt Gewinnmaximierung zahlt sich jetzt aus. Daraus könnten alle Strukturen jetzt lernen. Es lohnt sich mittelfristig auch wirtschaftlich, wenn Erfolg nicht nur in Euro Gewinn bemessen wird, sondern an dem Beitrag, den ein Unternehmen zu einer enkeltauglichen Landwirtschaft und zu einer lebenswerten Welt beiträgt. Nur wenn wir die ganze Wertschöpfungskette an einen Tisch bekommen, schaffen wir Transformationsprozesse. Wir haben keine Krise, die irgendwann vorbei ist. Wir stehen mitten in einem Transformationsprozess in eine neue Welt. Es liegt an uns, wie wir Menschen uns miteinander vereinbaren und untereinander organisieren.