Pakt mit dem Teufel oder Rendezvous mit Engeln? Der Weg der Bioverbände in die Masse stößt bei vielen Biohändlern auf Unverständnis. Die Gründe erklärt Georg Rieck, Inhaber des Bioladens Klatschmohn, im FairBio-Blog.

FairBio: Georg, was stört Dich aktuell in der Biobranche? Wie bewertest Du die Situation im Biofachhandel?

Die Aufnahme von Kaufland und Rewe als Mitglied in den Demeter-Verband stößt derzeit nicht nur mir übel auf. Viele Bioakteure bezweifeln, dass sich Kaufland an die Abmachungen mit Demeter halten wird. Sie befürchten, dass der Lebensmittelhändler seine Marktmacht missbrauchen wird. Mir erscheint die ganze politische Lage der Biobranche derzeit insgesamt eher desolat. Löst sich die Branche von ihrem Leitbild? Wir sind vor fünf Jahrzehnten als Teil der Ökologie-Bewegung angetreten, um dem Wandel hin zur industriellen Land- und Lebensmittelwirtschaft, der ab 1968 politisch gewollt war, eine ökologisch begründete und faire Handelskultur entgegenzusetzen. Und jetzt? Je mehr Regalmeter für Bio in den Läden, umso besser – und den Rest vergessen?

FairBio: Bio für alle – nach dieser Devise läuft derzeit der Wachstumsprozess. Wo liegt für Dich das Problem?

Bio soll breiter werden, es soll organisch wachsen! Solange Verbände und Hersteller mit Einzelkaufleuten der konventionellen Strukturen handeln, ist das zwar gefährlich, aber mit etwas Glück können sie das überleben. Dem destruktiven Drucksystem des Oligopols haben die Akteure aber nichts entgegenzusetzen. Dass billige Lebensmittel auf Kosten sozialer und ökologischer Standards produziert werden, ist ja kein Naturgesetz, sondern die Folge des Preisdrucks, den der LEH systematisch auf seine Vorstufen ausübt. Das Problem dabei ist die Zwangsläufigkeit des Qualitätsverlustes unter dem Preisdruck – denn der Preisdruck ist der natürliche Fressfeind jeglichen Qualitätsanspruchs. Ich halte es für hellen Wahnsinn, wenn man das in fünfzig Jahren Erreichte genau in dem historischen Moment auf den Schlachtfeldern des LEH opfert, in dem Gesellschaft und Politik endlich anfangen, die Probleme ernst zu nehmen.

FairBio: Der Wandel ist bereits in vollem Gange. Mit hohen Werbebudgets läuft im konventionellen Handel ein Battle um das billigste Bio. Wie kann der Fachhandel in diesem Wettbewerb wieder Boden gut machen?

Der Biofachhandel muss sich deutlich und schnell hinter einem frischen Branchenleitbild versammeln, das sich wesentlich politischer zeigt. Das sich einbindet in die großen aktuellen Denkansätze – von den SDG und den Prinzipien der Agrarökologie bis hin zum Lieferkettengesetz und den Richtlinien gegen unlautere Handelspraktiken (UTP). Damit können wir die alten Ziele der Öko-Bewegung mit neuem Denken auffrischen und in die Zukunft bringen. Für den Biohändler bedeutet dies wieder Pionierarbeit. Wir müssen uns wieder konsequent um Produkte aus nachhaltigen kleineren Betrieben kümmern. Wir müssen unsere regionalen Strukturen weiter ausbauen. Die Biobranche hat den Menschen einst das Versprechen gegeben, es anders zu machen, um zu anderen Ergebnissen zu kommen. Dieses andere Wirtschaften müssen wir jetzt glaubwürdig umsetzen und auch besser kommunizieren: Wir sind zu 100 Prozent Bio und stehen für Fairness entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

FairBio: Mit neuen Kooperationsmodellen vom Kunden bis zum Landwirt startet derzeit in vielen Regionen eine neue Biobewegung. Siehst Du darin eine Chance für den Biofachhandel?

Die Solawis und andere Initiativen entstehen bewusst unabhängig von der Marktebene. Diese Initiativen drücken zum einen eine starke Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit aus und zum anderen aber auch ein tiefes Misstrauen gegen alle Handelsstrukturen, die den Markt bedienen. Wenn es der Biofachhandel schafft, bei diesen jungen Leuten die gleiche Glaubwürdigkeit zu gewinnen, die wir bei unseren Stammkunden erarbeitet haben, könnte eine gemeinsame Bewegung gelingen.

FairBio: Schauen wir mal in die Zukunft. Wie wird Klatschmohn in fünf Jahren aufgestellt sein?

Die positive Utopie geht davon aus, dass die vier „Wenden“ (Energie, Verkehr, Agrar und Ernährung) gesellschaftlich gewollt und ernsthaft angepackt werden und dass es gelingt, für diese Transformationen neue Wirtschaftsdoktrinen zu etablieren. In solch einem Umfeld könnten Bioläden eine wichtige Rolle spielen – vorausgesetzt sie haben ein glaubwürdiges Branchenleitbild entwickelt. Dann würde der Klatschmohn rot blühen. Das negative Gegenmodell wäre eine zwangsgegreente, konventionellen Landwirtschaft und eine abgeflachte, industrielle Bio-Landwirtschaft, die Massen für Massenmärkte produziert. Dies wäre dann ein Bio im Haifischbecken – ohne jede ökologische und soziale Wirkung. Bioläden wie Klatschmohn würde es dann höchstens noch in einem Freilichtmuseum geben.

 

Hier geht es zum Statement von Hassaan Hakim im Biohandel-Magazin: Demeter bei Kaufland und Rewe ist kein Pakt mit dem Teufel – im Gegenteil

 

 

Seit 1978 engagiert sich der Bioladen Klatschmohn in Gießen für Fairness zu Natur, Mensch und Tier.