Ein neues EU-Label soll im Jahr 2024 die Umweltfreundlichkeit von Lebensmitteln kennzeichnen – vom Acker bis zum Regal. Professor Achim Spiller, Uni Göttingen, zum Stand der aktuellen Diskussion.
Die EU plant einen neuen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme. Was erwartet uns in Sachen Nachhaltigkeitslabel?
Das ist nicht einfach zu sagen, weil noch nicht viele Details der geplanten Nachhaltigkeitskennzeichnung kommuniziert wurden. Aber in vielen EU-Ländern hat die Diskussion jetzt an Fahrt aufgenommen. Ganz offensichtlich möchte die Kommission darauf basierend einen Vorschlag entwickeln. Ich gehe davon aus, dass der im EU-Rahmen entwickelte Product Environmental Footprint (PEF), eine Form der Ökobilanz, dabei eine Rolle spielen wird, weil die EU hier einiges in die Entwicklung investiert hat. Es geht darum, die Umweltbilanzen über den gesamten Lebensweg von der Landwirtschaft bis zum Handel zu erfassen. Dazu werden dann wahrscheinlich einige Kriterien wie beispielsweise Biodiversität ergänzt werden.
Wo sehen Sie in der aktuellen Debatte noch Nachholbedarf?
Ganz wichtig ist zunächst, das Greenwashing zu unterbinden. Am stärksten wird derzeit mit „klimaneutral“ geworben, nicht selten auf der Basis dubioser Kompensationen. Damit werden die Verbraucher:innen in die Irre geführt. Sie können nicht sehen, ob das Produkt wirklich klima- und umweltfreundlich ist. Der Begriff „klimaneutral“ klingt aber so gut, weil wir ja zurecht über eine klimaneutrale Wirtschaft diskutieren. Nur dass hier mehr oder weniger zweifelhafte Kompensationsprojekte dahinter stecken und nicht die Umweltfreundlichkeit von Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel. Ich hoffe, dass die Green-Claims-Initiative der EU hier Grenzen einziehen wird.
In welcher Form werden Tierwohl, Soziales und gesellschaftliche Leistungen bei den bisherigen Ansätzen berücksichtigt?
Wir brauchen ein überzeugendes, einheitliches Label. Eine der Hauptfragen ist, ob dieses nur den Carbon Foodprint, weitere Umweltdimensionen oder noch zusätzliche Nachhaltigkeitskriterien umfassen soll? Verbraucher:innen wünschen sich wahrscheinlich ein möglichst breites Gesamtsiegel, aber ich befürchte, dazu fehlen uns derzeit noch die handhabbaren Messkonzepte. Aus diesen Gründen wird es wohl es eher auf ein Gesamt-Umweltlabel hinauslaufen.
Welche Anforderungen sollte ein neues Umweltlabel aus Verbrauchersicht erfüllen?
Wir haben in Deutschland und der EU beim Thema Labelling in der Vergangenheit sehr viele Fehler gemacht. Durch den Label-Dschungel steigt, dies zeigen unsere aktuellen Studien, kaum noch jemand durch. So können wir nicht erwarten, dass die Kund:innen einen größeren Beitrag zur Nachhaltigkeitstransformation leisten. Im wissenschaftlichen Beirat des BMEL haben wir deshalb empfohlen, dass wir zukünftig neben Bio nur noch wenige, klare, möglichst farblich-interpretative, staatlich-verbindliche Zeichen benötigen. Der Staat muss sich erheblich stärker engagieren. Ein ungeregelter Markt, auf dem jeder im Zweifel sein eigenes Zeichen einführt, kann hier nicht funktionieren.
Wie kann sich die Biobranche in der aktuellen Label-Debatte glaubwürdig positionieren?
Bio steht als Siegel bei den Verbraucher:innen für ein insgesamt umweltfreundliches Produkt. Die EU-Bio-Verordnung hat aber nur wenige Kriterien für die Stufen außerhalb der Landwirtschaft. Eine gute Ökobilanz ist damit nicht garantiert. Um den Verbrauchererwartungen zu entsprechen und ihren Pionierruf zu sichern, sollte die Biobranche an guten, ganzheitlichen Lösungen arbeiten. Viele Bio-Hersteller und -Händler sind auch wirklich intrinsisch motiviert. Deshalb sollten sie mit der Politik an einer Verhinderung von Greenwashing arbeiten und in der Debatte für ein gutes Umweltlabel mitwirken.