CMS-Saatgut ist in den letzten Wochen verstärkt zum Thema in den Medien geworden: „Gentechnik im Bioladen und im Babybrei“ lauteten die Schlagzeilen. Gesundheitsgefährdend ist das Gemüse aus Saatgut, das durch eine Zellfusionstechnik entstanden ist, sicherlich nicht. Dennoch birgt die Verbreitung von CMS-Saatgut Risiken mit sich, die die Sortenvielfalt und das Selbstverständnis des ökologischen Landbaus betreffen. Wir haben darüber mit Barbara Maria Rudolf von Saat:gut e.V. gesprochen.

Barbara Maria Rudolf ist eine treibende Kraft bei Saat:gut e.V.. Das ist ein Verein, der auf natürlichem Wege wertvolle Sorten züchtet, Landwirte und Gärtner zum Mitmachen animieren und Verbraucheraufklärung betreiben will. Barbara Maria Rudolf ist zudem auch engagierte Bio-Bäuerin und Züchterin auf dem Christiansen’s Biolandhof, sowie Sprecherin des Bundesfachausschuss Pflanzenzüchtung im Bioland e.V..

FairBio e.V.: Schränkt CMS-Saatgut die Vielfalt für den ökologischen Landbau ein?

Eindeutig ja! Wir haben bislang noch viel zu wenig Saatgut, das speziell für den ökologischen Landbau entwickelt wurde. Daher müssen die Biobauern häufig auf Saatgut von konventionellen Sorten zurückgreifen. Die Bio-Anbauverbände haben CMS-Saatgut verboten. Sie lehnen völlig zu Recht die Zellfusionstechnik ab, da zwei artfremde Zellen verschmolzen werden und die Integrität der Zellen verletzt wird. Das widerspricht den Prinzipien des ökologischen Landbaus. Leider ist CMS-Saatgut nach der EU-Öko-Verordnung erlaubt.

Es wird immer schwieriger, CMS-freies Saatgut zu bekommen, da die konventionellen Züchter zunehmend auf CMS-Saatgut setzen. Gab es vor einigen Jahren noch ungefähr je 25 bis 30 CMS-freie Sorten Blumenkohl und Brokkoli, so sind es heute wohl weniger als 10. Es wurden Sorten eingestellt, die meist im ökologischen Landbau angebaut wurden.

FairBio e.V.: Warum gibt es immer weniger CMS-freie Sorten?

Für die konventionellen Züchter ist der Ökolandbau ein zu kleines Marktsegment. Mit CMS-Sorten kann leichter Geld verdient werden. Zum einen geht die Züchtung schneller als bei natürlichen Verfahren, zum anderen werden die Eigentumsrechte durch CMS-Sorten gestärkt. Laut Sortenschutzgesetzt(Züchter-Vorbehalt) dürfen andere Züchter zwar auch angemeldete und geschützte Pflanzensorten als Ausgangsmaterial für eigene Züchtung verwenden und so die positiven Sorteneigenschaften zu nutzen. Dies ist aber bei CMS-Pflanzen nicht möglich, da sie männlich steril sind und nur der Züchter weiß, welche Pflanze der richtige Befruchter ist und nur er diese Pflanze hat. Die Züchter sagen: „we locked the genes in“ und hebeln damit deutsches Recht aus. So sichern sie ihre Arbeit an den Sorten über das gesetzlich dafür vorgesehene Maß hinaus ab.

FairBio e.V.: Ist es ein Problem, dass Biobauern, die nach der EU-Öko-Verordnung wirtschaften, CMS-Saatgut verwenden dürfen?

Ja, denn Saatgut, das nach ökologischen Kriterien gezüchtet wurde und auf samenfeste Sorten basiert, wird nie Pflanzen eine optisch so einheitlichen Qualität hervorbringen wie die neuen CMS-Hybriden. Auch neue, samenfeste Sorten werden nicht so uniform sein können, wie die Kunden es von den Hybriden gewöhnt sind. Die Pflanzen brauchen geradezu eine bestimmte Varianz, damit sie vital und ertragsreich bleiben. Eine gewisse Varianz in der äußeren Erscheinung drückt die Lebendigkeit der Pflanze aus. Dies den Kunden zu vermitteln ist schwer, da ein einheitliches Aussehen inzwischen schon ein Qualitätsmerkmal geworden ist. Unterschiedliche Bio-Qualitäten erschweren dem Kunden zusätzliche die Entscheidung. Und es gibt ja noch nicht einmal eine Kennzeichnungspflicht für CMS-Pflanzen.

FairBio e.V.: Wie kann eine ökologische Saatgutvielfalt gesichert und verbessert werden?

Wir können die konventionellen Züchter nur bewegen, für den Ökolandbau und mit Methoden, die im Einklang mit unseren Grundsätzen sind, zu züchten, wenn alle Biolandwirte und -gärtner mitmachen. D.h, das CMS Verbot muss in der EU-Richtlinie verankert werden.

Da aber in der konventionellen Züchtung immer neue Techniken entwickelt werden, die invasiv in Zelle und Genom eingreifen, halte ich den Aufbau einer ökologischen Pflanzenzüchtung für unabdingbar. Die bio-dynamischen Züchter sind hier vorangegangen. Jetzt kommt es darauf an, dass alle inhaltlich motivierten Menschen und Unternehmen der Biobranche gemeinsam diese Herkulesaufgabe stemmen: 100 % Bio bedeutet eben auch Biozüchtung!

Crispr/Cas ist keine Chipssorte, sondern ein neues gentechnisches Züchtungsverfahren mit viel Sprengstoff. Vertreter der Anti-Gentechnik-Bewegung und die Anbauverbände lehnen dieses Verfahren zunächst einmal klar ab. Der Wissenschaftler und Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau Prof. Urs Niggli vertritt jedoch eine offenere Position dazu. Wir haben eine Saatgutzüchterin nach ihrer Meinung gefragt.

Die ökologische Gemüsezüchterin Barbara Maria Rudolf ist im Saat:gut e.V. aktiv. Zudem ist sie auch engagierte Bio-Bäuerin und Züchterin auf Christiansens Biolandhof, sowie Sprecherin des Bundesfachausschuss Pflanzenzüchtung im Bioland e.V.

Schon wieder ein neues Züchtungsverfahren! Mit Crispr/Cas und anderen ähnlichen Verfahren wird ins Erbgut der Pflanzen eingegriffen und es können dort auch synthetisch hergestellte Erbgutabschnitte eingebracht werden. Deshalb sind es doch eigentlich ganz eindeutig gentechnische Verfahren, oder? Was hätte es für Konsequenzen, wenn sie von der EU-Kommission nicht als gentechnische Verfahren eingestuft würden? Die Entscheidung darüber hat die EU-Kommission bislang ja immer wieder verschoben.

Grundvoraussetzung für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen in Europa ist, dass die Wahlfreiheit erhalten bleibt. Mehr als drei Viertel der EuropäerInnen wollen keine Gentechnik in Ihren Lebensmitteln. Das sind eigentlich Mehrheitsverhältnisse, die der Politik eine klare Richtung vorgeben sollten. Agrogentechnik(„grüne Gentechnik“) beinhaltet die Ausbringung von gentechnisch veränderten Konstrukten ins Freiland. Dies birgt ganz andere Risiken, als eine Anwendung im Labor, in Tanks oder unter anderen kontrollierbaren und kontrollierten Bedingungen. Wir sind alle zwangsweise „drin“, wenn gentechnisch veränderte Pflanzen in die Welt gebracht werden. Die Sorgfaltspflichten, die die Freisetzungsrichtlinie den Ausbringern von gentechnisch veränderten Konstrukten auferlegt, sollen sowohl einen besonnenen und vorsichtigen Umgang wahren, als auch diejenigen, die ohne Gentechnik leben wollen schützen. Zu diesem Zweck sieht die Freisetzungsrichtlinie Vorprüfungen und Dokumentationspflichten während und nach der Ausbringung vor. Das Standortregister informiert die interessierte Öffentlichkeit, wo gentechnisch veränderte Organismen ausgebracht werden.

CRISPR/Cas ist eine gentechnische Methode, daran lässt auch Mdme Charpentier, eine der beiden Entdeckerinnen/Erfinderinnen der Methode, keinen Zweifel:“ Es ist keine Wundermethode. Gentechnik bleibt nach wie vor eine Bastelei, eine „Bricolage“, wie die Franzosen sagen. Die neue Methode ist nur effektiver und vielseitiger.“ (TAZ 19.03.2016).
Würde diese neue gentechnische Methode nicht als Gentechnik deklariert werden, so fielen alle Regeln, auf die wir uns in Europa zum Schutz unserer Umwelt und Gesundheit in der Freisetzungsrichtlinie geeinigt haben, weg. Die gentechnisch veränderten Organismen wären nicht als solche gekennzeichnet, würden unbeobachtet und unkontrolliert (auch was die Folgewirkungen betrifft) ausgebracht und niemand wüsste, wo das geschieht. Als Biobäuerin wäre ich natürlich doppelt besorgt, weil ich nicht nur mich vor möglichen negativen Auswirkungen schützen möchte, sondern auch meine Kunden von mir und uns einwandfreie, gesunde Lebensmittel erwarten. Wie soll ich das garantieren, wenn ich nicht weiß, wo gentechnisch veränderte Pflanzen ausgebracht werden? Wie diese wirken und wie sie sich weiter in der Umwelt auskreuzen?Als Züchterin und Saatgut-Vermehrerin sehe ich natürlich auch die Gefahr der Verunreinigung unseres Saatguts.

Auch die Anbauverbände sehen in den Züchtungsmethoden wie Cripr/Cas ein gentechnisches Verfahren und lehnen dieses strikt ab. Anders Prof. Niggli. Er bescheinigt der Methode ein großes Potenzial, man müsse aber die Anwendung einzeln bewerten. Pflanzenkrankheiten mit herkömmlichen Kreuzungsmethoden beizukommen, hält er für möglich, aber er bezweifelt, dass die Gesellschaft bereit wäre, solche langwierigen Züchtungen zu finanzieren. Er spricht sich für eine Kennzeichnungspflicht der Züchtungsmethode aus, aber die Kennzeichnung solle nicht „gentechnisch verändert“ lauten, sonst wäre „die Methode gestorben, bevor man sie kennt“ usw. Wie erklären Sie sich die Aussagen von Prof. Niggli in dem TAZ-Interview?

Wir diskutieren in der deutschen Bio-Branche seit 2006 über die neuen Pflanzenzüchtungstechniken(NPBT). Wir haben zahlreiche Vorträge, Tagungen und Gesprächsrunden zur inhaltlichen Information, möglichen Einschätzung und Bewertung der neuen Pflanzenzüchtungstechniken für den Ökolandbau und die Bio-Branche veranstaltet. Nicht zuletzt im Rahmen des vom Fibl durchgeführten Projekts „Netzwerk Ökologische Pflanzenzüchtung“.

Nach ausgiebiger Information und Diskussion haben wir uns im Rahmen unseres Dachverbandes BÖLW 2015 auf eine gemeinsame Position und Forderung geeinigt: die neuen Pflanzenzüchtungstechniken greifen direkt in das Genom ein und sind daher als gentechnische Verfahren in den Anhang der Freisetzungsrichtlinie aufzunehmen. Wir fordern ein „update“ des Anhang – die gesetzliche Regelung muss auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Die Sorgfaltspflichten und die Wahlfreiheit müssen erhalten bleiben, so wie die Freisetzungsrichtlinie es vorsieht.

Wir arbeiten auf mehreren Handlungsfeldern sehr gut mit dem Fibl Schweiz und dem Fibl Deutschland zusammen und sind froh über die Arbeit des Instituts und Vereins! Und natürlich respektieren wir die wissenschaftliche Meinungsfreiheit von Prof. Niggli. Unsere Enttäuschung über seine Äußerungen im TAZ Interview sind sicher am ehesten vor dem Hintergrund der sehr knappen Ressourcen für den Ökolandbau und die Bio-Branche zu verstehen. Natürlich wünschen wir uns, dass der Leiter des Fibl nach einem jahrelang geführten Diskurs zum Thema zu uns steht.

Weiterführende Links:
Das Taz-Interview mit Prof. Niggli vom 6.4.16
Ein Interview mit Folgen (bio-markt.info, 11.4.16) Dort sind auch die ablehnenden Stellungnahmen von Bioland und Demeter zu Crispr/Cas zu finden.
Der offene Brief von Saat:gut e.V. an den Stiftungsrat des „Forschungsinstituts für den Ökolandbau, Fibl Schweiz, zu den Äußerungen des Institutsleiters Prof. Urs Niggli
BÖLW-Position zu neuen Züchtungstechniken
Ein Interview mit Barbara Maria Rudolf zum Thema CMS-Saatgut