Klimawandel, Krieg und Pandemie – die Welt steckt in der Dauerkrise. Für eine autarke Ernährungssicherheit rücken regionale Wirtschaftskreisläufe nun wieder in den Fokus.  Auf der Sommer-Edition der Biofach in Nürnberg diskutiert der BÖLW über den Wandel in der Biobranche.

Das deutsche Lebensmittelhandwerk unterliegt seit langer Zeit einem massiven Strukturwandel. Gab es im Jahr 1950 noch 55 000 Handwerksbäckereien, waren es 30 Jahre später nur noch 23.000. Bis zum Jahr 2020 schrumpfte die Branche weiter auf 10.000 Betriebe.

Bei den Mühlen sieht es nicht besser aus: Von den 19 000 Getreidemühlen im Jahr 1950 haben es nur 2.500 ins Jahr 1980 geschafft. Heute sind lediglich noch 185 Mühlen am Start, die mehr als 5000 Tonnen pro Jahr Getreide verarbeiten. Durch den Konzentrationsprozess sind Großunternehmen entstanden, die standardisierte, homogene Rohware benötigen. Es fehlen mittelständische, flexible Verarbeitungsstrukturen, um auch kleinere Partien klimaangepasster Getreidesorten wie Quinoa, Buchweizen und Hirse oder neue Proteinträger wie Soja, Lupinen oder Erbsen zu verarbeiten.

Bio-Hersteller steuern gezielt gegen diesen Trend. Eine Mitgliederumfrage des Bundesverbandes Ökologische Lebensmittelwirtschaft aus dem Jahr 2021 zeigt: Bio-Verarbeiter setzen verstärkt auf heimische Rohstoffe und pflegen regionale Wertschöpfungsketten. Für 75 Prozent der teilnehmenden Bio-Hersteller sind regionale Rohstoffe von hoher oder sehr hoher Bedeutung. Die Öko-Betriebe gaben an, durchschnittlich etwa 60 Prozent ihrer Rohwaren aus einem Umkreis von 228 km zu beziehen. Noch regionaler sind Molkereien, Fleischverarbeiter und Getränkeherstellerinnen. Bei über 70 Prozent von ihnen legen Rohstoffe weniger als 200 km zurück. Darüber hinaus pflegen über zwei Drittel der Befragten feste Formate der Zusammenarbeit mit ihren Wertschöpfungspartnerinnen und -partnern, wie runde Tische, Erzeuger- oder Marktgemeinschaften oder engagieren sich in gemeinsamen Projekten.

In den Bundesländern entwickelten sich die herstellenden Bio-Betriebe nach BÖLW-Erhebungen unterschiedlich. Die Spitzenpositionen nach absoluten Zahlen belegten 2020 Bayern mit 4.363 Unternehmen, Baden-Württemberg (3.121) und Nordrhein-Westfalen (2.071). Auch mit Blick auf die Versorgungsdichte je 100.000 Menschen lag Bayern mit 33 Betrieben vorn. Den letzten Platz teilten sich drei Länder: Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit je 12 herstellenden Bio-Unternehmen pro 100.000 Menschen.

„Für das neue Öko-Flächenziel von 30 Prozent Bio bis 2030 müssen bio-spezifische Strukturen in der Verarbeitung stärker unterstützt werden“, fordert BÖLW-Autorin Jonna Meyer-Spasche. Dafür sei eine bessere Datenlage erforderlich. Die Wirtschaftsförderung müsse praxistauglicher für kleine und mittelständische Unternehmen werden und Nachhaltigkeit stärker fördern. Ebenso relevant sei eine Beratung für alle, die auf Bio setzen wollen.

Das Thema auf der Biofach:

Bio-Herstellung in Deutschland – Wie viele Öko-Mühlen mahlen in Deutschland Bio-Getreide? Wie viele Bio-Metzgereien, -Bäckereien, -Molkereien zählt die Bundesrepublik? Und was bedeutet die Entwicklung für Beschäftigte, Handwerk und den ländlichen Raum?  ⁠Forum Biofach  26.07.2022, 15:45 – 16:30 Uhr  Saal St. Petersburg

Sag mir, wo die Mühlen sind – Wie geht enkeltaugliche Wirtschaftspolitik? In Deutschland gibt es 185 Mühlen, vor 10 Jahren waren es noch 347. Oft überlebt nur industrielle Großproduktion. Das erschwert den Aufbau resilienter Wertschöpfungsketten, Ernährungsvielfalt und eine starke, regionale Wirtschaft. Wir diskutieren, was es braucht, damit Bäckerinnen, Metzger und Mühlen zurück in die Dörfer kommen. Und wie gelingt, dass sie auf Bio umstellen.   Forum Politik  27.07.2022, 11:15 – 12:30 Uhr  Saal Tokio