Regio – echt jetzt? In den Umfragen zu Coronazeiten steigt der Wunsch nach regionalen Lebensmitteln. Ökostrategieberater Jörg Reuter und Agrarökonom Prof. Achim Spiller haben den Trend für das neue Transgourmet-Magazin überprüft.
Die Gastroszene leidet massiv unter der Pandemie – alles auf Abstand. Wie geht die Branche damit um, welche Konsequenzen hat Corona für die Speisekarten? Ökostrategieberater Jörg Reuter hat für den Gastrogroßhändler Transgourmet in der Praxis nachgefragt. Sind Regionalität und transparente Herkunft ein neuer Gegenpol oder ein überschätztes Phänomen?
„Regionalität ist ein Sehnsuchtsfeld, das Umfragen zufolge seit fast einem Jahrzehnt Stück für Stück an Bedeutung zunimmt. Corona gilt als weiterer Verstärker dieses Trends“, sagt Reuter. So stimmten 83 Prozent der befragten Gastwirte der Aussage „Eine regionale Herkunft der Zutaten und das Ausloben dieser auf der Speisekarte werden zunehmend wichtiger“ zu (44 Prozent sogar „voll und ganz“).
Diese hohe Zustimmung für die Bedeutung von Regionalität hat in Coronazeiten bislang nur geringe Auswirkungen auf die Speisekarten. In der Praxis wurde nur jede fünfte Speisekarte regionaler ausgerichtet. Die Gründe dafür sind vielfältig: zu kompliziert in der Beschaffung, Ware in der Region nicht vorhanden, Ware vorhanden, aber zu teuer.
Der entscheidende Hebel zum Erfolg ist für Jörg Reuter dabei die Definition von Regionalität: „Für den einen sind es Produkte aus Deutschland, für den anderen Produkte aus dem Nachbarort, für den Nächsten Produkte von befreundeten Betrieben, egal wie weit entfernt diese sind. Für den einen sind es regionale Rezepturen, für einen anderen ist Regionalität ein Burger, aber eben aus lokalen Zutaten.“ Seine Empfehlung: Wer das zweifelsfrei stark vorhandene Regionalitätsbedürfnis bedienen möchte, sollte anfangen, gute Geschichten zu guten Produkten zu erzählen. Erzählungen über den Ursprung des Produkts und die Produzenten selbst; über ihr Handwerk und die Haltung, die sie dazu vertreten; über die Art der Landwirtschaft und Tierhaltung, die sie umsetzen; aber auch über die Beziehungen, die der Gastronom zu diesen Produzenten pflegt.
„Es geht gar nicht so sehr um die Menge an regionalen Produkten, sondern darum, die Gäste teilhaben zu lassen an diesen Verbindungen“, erklärt der Strategieberater. Corona werde dieses Bedürfnis nach emotionaler Nähe sicher nicht schwächen, sondern im Zweifel tatsächlich noch verstärken.
Von dem Verbraucherwunsch nach mehr Nähe profitieren in den Corona-Monaten insbesondere die Hofläden und Lieferdienste. Die Wertschätzung regionaler Wertschöpfungsketten konnte als Gegentrend zur Globalisierung deutlich zulegen. Die Angst vor Knappheit führte zu Hamsterkäufen – das gab es in Deutschland schon lange nicht mehr.
„Bislang wurde Regionalität eher unter Nachhaltigkeitsaspekten betrachtet und als Wertschätzung für die regionale Landwirtschaft von einer breiten Zielgruppe präferiert“, erklärt Prof. Dr. Achim Spiller, von der Uni Göttingen. „Nun erhält Regionalität ein neues, zusätzliches Kaufargument, die „Sicherheit der Versorgung“. Ein Thema, das wir in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nicht mehr ernsthaft diskutiert haben“, so Spiller. Das Sicherheitsargument werde wahrscheinlich noch eine ganze Weile in der Diskussion erhalten bleiben und die Regionalitätsdebatte aus einem zusätzlichen Blickwinkel anfachen.
Bildunterschrift: “Die Corona-Pandemie wird das Bedürfnis der Konsumenten nach emotionaler Nähe zu Lebensmittelnherstellung noch verstärken”, sagt Strategieberater Jörg Reuter.
Foto: Sascha Walz
Jörg Reuter ist Agrarökonom und Geschäftsführer der Grüne Köpfe Strategieberatung in Berlin. Er arbeitet im Rahmen des Transgourmet-Lab an Zukunftsthemen für den Außerhausmarkt.
Prof. Dr. Achim Spiller ist Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Georg-August-Universität Göttingen. In seiner aktuellen Studie beschäftigt er sich mit der Frage, wie krisenfest unser Lebensmittelsystem empfunden wird.
Hier geht zu den vollständigen Texten im Transgourmet-Magazin: