Assoziatives Wirtschaften steht für eine gerechte Wertschätzungskette mit einem regelmäßigen Austausch aller beteiligten Partner. Boris Voelkel, bei der Naturkostsafterei Voelkel für den Einkauf verantwortlich, erklärt die praktische Umsetzung im Alltag.

Boris, warum liegt Dir das Thema Assoziatives Wirtschaften so am Herzen?

In der heutigen Zeit, in der die Wirtschaft mehr denn je auf Verdrängung, Maximierung und individuellen Profit ausgerichtet ist, ist das Modell einer Assoziativen Wirtschaft besonders aktuell. Das konkurrenzgetriebene Verhalten hat keine Zukunft. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft, nicht im Privaten. Es muss wieder darum gehen, echte Bedürfnisse zu erfüllen und dafür gerecht bezahlt zu werden.

Wie wirkt sich dies auf Deine Arbeit als Einkäufer aus?

Wichtig ist für mich, dass man sich an runden Tischen einander ins Bild setzt und die Bedürfnisse der Gegenseite versteht. Wir sind nicht in dem sonst üblichen Kampfmodus, sondern sehen uns mit den Landwirten in einem gemeinsamen Raum für Entwicklung. Wenn man jedes Jahr verlässlich vom selben Partner zum halbwegs stabilen Preis kauft, haben beide Seiten eine hohe Planungssicherheit. Mal profitiert der eine, mal der andere. Dabei entsteht ein krisenfestes Gebilde. Man spart innerlich viel Energie und kann sich auf neue, echte Bedürfnisse entlang der Wertschätzungskette einstellen. Man arbeitet an etwas Positivem. Das ist kein Detail am Rande. Es setzt eine Menge positive Energie frei.

Was bedeutet dies konkret im Geschäftsalltag?

Im Einkauf handeln wir nach der Maßgabe: Gesunde Lebensmittel aus gesunden Strukturen. Dabei haben sich drei wichtige Aspekte herauskristallisiert: langfristige Lieferantenbeziehungen, eine moderate Preisgestaltung sowie ein empathisches Einkaufen auf Augenhöhe. Ein Beispiel: Im Jahr 2017 kam es zu einen Totalausfall in der europäischen Apfelernte. Die Preise für Mostäpfel verdreifachten sich nahezu. Trotz dieser Marktentwicklung haben sich einige unsere Lieferanten sehr moderat verhalten. Wir saßen teils mit Gänsehaut im Einkauf, weil die Lieferanten mehr als fair waren. Ein Jahr später waren dann wir gefragt. Wir haben zu unseren langjährigen Lieferanten gehalten, obwohl wir an anderer Stelle hätten günstiger einkaufen können. Dieses Geben und Geben bedeutet für uns eine echte Partnerschaft in gesunden Strukturen.

Was verstehst Du unter empathischen Wirtschaften?

Hier ein Beispiel: Ein langjähriger Anbaupartner hatte im April noch Vorjahresware, die im Frischmarkt nicht mehr verkäuflich war. Da unsere Tanks noch reichlich voll mit Möhrensaft und die entsprechenden Verarbeitungsmaschinen zur Wartung auseinander gebaut waren, konnten wir die Möhren eigentlich nicht annehmen. Die spürbare Verzweiflung am anderen Ende des Telefons veranlasste mich jedoch, die Möhren abzunehmen und woanders zu Saft verarbeiten zu lassen. Ein Jahr später kämpften wir dann mit einen Ernteausfall von 40 Prozent bei Möhren. Unaufgefordert meldete sich selbiger Landwirt bei mir und lieferte uns einige Lastwagen von seiner Frischmarktware, die uns in unserer prekären Mangelsituation retteten. Das ist für mich empathisches Wirtschaften in der Praxis.

Anlässlich des 75-jährigen Firmenjubiläums hat die Familie Voelkel das Unternehmen in eine Stiftung umgewandelt. Welche Vorteile bietet dies im Blick auf Assoziatives Wirtschaften?

Bei der Umwandlung flossen 90 Prozent der bisherigen Unternehmensanteile in die Voelkel-Stiftung, die übrigen 10 Prozent sind einem gemeinnützigen Zweck vorbehalten. Die Voelkel-Stiftung sichert die Weiterentwicklung des Unternehmens und fördert den ökologischen Landbau regional und weltweit. Diese Unternehmensform entlastet uns als Familie komplett, weil positive Energie frei wird. Wir bringen uns gegenseitig ein großes Vertrauen entgegen und jeder kann sich auf seine Leidenschaft konzentrieren. So habe ich im Einkauf eine große Handlungsfreiheit. Natürlich gibt es immer eine Abstimmung zwischen den Geschäftsführern, doch die insgesamt kurzen Entscheidungswege machen uns sehr schlagkräftig.

Warum habt Ihr Euch dafür entschieden, für Voelkel eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen?

Wir betrachten uns als permanente Pioniere und geben unsere erarbeiteten Werte gerne weiter. Die GWÖ-Bilanz ist dabei ein kostbares Thema, das nach außen kommuniziert werden muss. Sie ist ein unglaublich wichtiges gesellschaftliches Instrument, weil dabei klar dargelegt wird, wie grundlegend strukturell die Probleme sind. Andererseits ist die GWÖ-Bilanz auch unternehmensintern ein guter Spiegel. Man sieht, was man alles erreicht hat, erkennt aber auch, wo noch weiteres Potenzial brach liegt.

Bio stand bislang für pestizidfreie Landwirtschaft und „gut für mich“. Im Moment haben wir die historische Chance, Bio grundlegend weiter zu entwickeln. Menschen kaufen Bio aus anderen Motiven heraus. Sie wollen nicht nur für sich etwas Gutes tun, sondern die Welt retten. Die Sekundärnutzen von Bio wie Pestizidfreiheit, Grundwasserschutz, Artenvielfalt und Klimaschutz sehe ich als Primärnutzen. Ich glaube, es ist die Aufgabe der alten Pioniere, auch die neuen Pioniere zu sein.