Viele Konsumenten haben das heutige Ernährungssystem schon lange satt. Da die politische Ebene bislang keine Wende bewirkte, setzen zahlreiche Initiativen auf eine Veränderung von unten nach oben. FairBio stellt drei Beispiele vor.

„Das Vertrauen in die Stabilität und Sicherheit globaler Nahrungsmittelmärkte schwindet“, sagt Stefan Gothe vom Institut für die nachhaltige Regional- und Organisationsentwicklung in Bonn. „Wenn die soziale und ökologische Verantwortung des Wirtschaftens bei den Konsumenten einen Wert darstellt, werden Unternehmen sehr viel mehr Wert auf ihre regionale Verankerung legen“, prognostiziert Gothe, der auch als Aufsichtsrat der Regionalwert AG Rheinland tätig ist. Die Zahl der Verbraucher, die sich aktiv in regionalen Wertschöpfungsketten beteiligen, steigt. Innovative Formen der Zusammenarbeit erschließen neue Kundengruppen, die ein gemeinsames Ziel verbindet: eine transparente Versorgung mit Lebensmittel.

Solidarische Landwirtschaft

„Wir wollen wieder eine Graswurzelbewegung sein“, beschreibt Sebastian Klein, Vorstandsmitglied der Solawi Oberberg e.V., die Beweggründe der Mitglieder. Rund 1500 Konsumenten werden in dieser Gemeinschaft direkt mit Lebensmitteln versorgt. Das Fundament der Solidarischen Landwirtschaft ist eine besondere Kooperation zwischen Landwirten und Verbrauchern. Die Gemeinschaft verpflichtet sich jeweils für ein Jahr, einen bestimmten Betrag an den Landwirt zu zahlen und erhält dafür den entsprechenden Anteil seiner Ernte. Damit verfügt der Betrieb über ein gesichertes Einkommen und muss weniger Zeit in die Vermarktung investieren. Die Garantie für die Abnahme seiner Produkte macht ihn unabhängiger von Marktstrukturen, Großhandelspreisen und Fördergeldern. Die Solawi Initiative startete im Jahr 2006 und ist bundesweit inzwischen auf insgesamt 191 Gemeinschaften gewachsen.

Marktschwärmer

Eine andere Kooperationsform zwischen Landwirt und Verbraucher „Die Marktschwärmer“ stammt ursprünglich aus Frankreich. Im September 2011 eröffnet die erste Schwärmerei in Toulouse. Bäuerliche Familienbetriebe und Verbraucher der Region finden sich über eine Internet-Plattform und treffen sich auf einem wöchentlichen „Bauernmarkt“, der autonom von einem Gastgeber organisiert wird. Vier Jahre später sind über 700 Schwärmereien in ganz Frankreich entstanden. Drei Jahre später startete das Projekt europaweit durch. So wird die erste Schwärmerei Deutschlands im Juli 2014 in Berlin eröffnet. Zum Jahresbeginn 2018 sind bereits 45 aktive Schwärmereien in zehn Bundesländern am Start, die von rund 750 Erzeugern beliefert werden. Das Netzwerk entwickelt sich jeden Tag weiter: derzeit sind 60 weitere Schwärmereien im Aufbau.

Ernährungsräte

Die meisten unsere Lebensmittel im Supermarkt sind weit gereist, hoch verarbeitet und aufwändig verpackt. Dies hat entsprechende Konsequenzen für die Umwelt, das Klima und die regionale Landwirtschaft. Die Initiative der Ernährungsräte will hier Abhilfe schaffen und wieder mehr lokale und nachhaltige Lebensmittel in die Städte bringen. Das Konzept setzt auf politischer Ebene an: Experten aus Land- und Ernährungswirtschaft, der Verbraucherschaft und der Verwaltung arbeiten gemeinsam daran, die regionale Lebensmittelversorgung zu stärken und zu verbessern.

Die Idee stammt aus Nordamerika. So wurde im kanadischen Toronto ein Grüngürtel mit Ackerland für die lokale Lebensmittelproduktion geschaffen. Auf über 700.000 Hektar Land konnten 5.500 landwirtschaftliche Betriebe erhalten oder neu angesiedelt werden, meist Familienbetriebe. Im englischsprachigen Ausland gibt es schon über 100 solcher Gremien.

Der erste deutsche Ernährungsrat gründete sich im März 2015 in Köln, der zweite in Berlin. Es folgten Städten wie Hamburg, Leipzig, Ludwigsburg, Oldenburg, Kassel oder Frankfurt. Aktuell sind Ernährungsräte in 12 Städten, in 40 weiteren befinden sich in der Planungsphase

https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2018/KAB_2018_319_323_Gothe.pdf

 

Übersicht Solawis:

https://www.solidarische-landwirtschaft.org/solawis-finden/liste-der-solawis-initiativen/

https://marktschwaermer.de/de

Erklärvideo zu Ernährungsräten:

https://www.youtube.com/watch?time_continue=93&v=XLiIjum8ISE