Die Bauernproteste werden in den Medien von vielen Seiten bewertet und analysiert. FairBio gibt hier einem Praktiker Gelegenheit, das Geschehen zu kommentieren. Eine persönliche Stellungnahme von Biolandwirt Dietmar Groß:
“Die Protest-Traktoren-Welle rollte in einer bisher nie dagewesenen Breite und Einigkeit unter den Landwirt:innen. Denn die Dieselöl-Streichung war nur der Tropfen, der das Fass des Unmutes über die Agrarpolitik der Bundesregierung zum Überlaufen gebracht hatte. Die Ad-Hoc-Sparpläne der Bundesregierung waren aus meiner Sicht unausgegoren, unverhältnismäßig und in der Sache schlecht begründet.
- Unausgegoren, weil im Agrarhaushalt der Rotstift offenkundig ohne Abstimmung mit den zuständigen Fachbehörden und Berufsverbänden angesetzt wurde und die Sensibilität für die politische Brisanz fehlte.
- Unverhältnismäßig, weil die Landwirtschaft deutlich stärker als andere Teile der Gesellschaft betroffen gewesen wäre.
- Schlecht begründet, weil KFZ-Steuer auf Landmaschinen und die Verteuerung des Diesels allein keine ökologische Lenkungswirkung haben können, wenn nicht zugleich Alternativen aufgezeigt werden. Die Verwendung von Pflanzenöl als Treibstoff wäre ein möglicher Weg, dazu müssten aber die (steuer) rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.
Der breite Protest war deshalb nicht nur verständlich, sondern auch notwendig, um möglichst viel politischen Druck für eine Kurskorrektur aufzubauen. Auch die Biobauern und Biobäuerinnen haben sich an den Protesten beteiligt. Und in der öffentlichen Meinung war die Solidarität groß. Bevor die ersten Traktoren rollten, kündigte die Regierungsspitze eine Kurskorrektur an. Die KFZ-Steuer auf Landmaschinen sollte entfallen und die Streichung der Dieselöl-Beihilfe auf drei Jahre gestreckt werden. Innerhalb der Regierungsparteien hat der Protest und die breite Unterstützung in der Öffentlichkeit erheblichen Eindruck hinterlassen.
Doch was kommt nun?
Im Rückblick auf fast 50 Jahre Agrarpolitik, in denen ich mich aktiv für eine bäuerliche, tier- und umweltverträgliche Landwirtschaft eingesetzt habe, überwiegt die Skepsis, dass, welche Regierung auch immer, grundlegende Weichenstellungen vornehmen wird. Seit langem liegen ausgearbeitete und fachlich sowie interessenspolitisch breit getragene Konzepte (Borchert-Plan zum Umbau der Tierhaltung und der Plan der Zukunftskommission Landwirtschaft) vor. Ich bezweifele jedoch, dass der Wille und das Geld zur Realisierung dieser Vorschläge aufgebracht werden.
Ein Bestandteil dieses Plans wäre die staatlich kontrollierte Auflage für die Lebensmittelindustrie und den Handel, der Landwirtschaft faire Preise zu zahlen. Eine weitere die Einführung einer Fleischsteuer, mit der der artgerechte Umbau der Tierhaltung finanziert werden kann. Diese Vorschläge liegen lange auf dem Tisch, bis heute wurde faktisch nichts umgesetzt. Schwer vorstellbar, dass sich dies nun ändert, wo die Kassen leer und der Unmut in der Öffentlichkeit groß ist.
“Die Ampel muss weg” war eine weitverbreitete Parole bei den Demonstrationen. Bei aller Zustimmung zur Kritik an der bisherigen Agrarpolitik endet für mich hier die Gemeinsamkeit. Denn damit werden die Ergebnisse der vergangenen Legislaturperioden ignoriert. Die Bundesregierung hat Verhandlungsbereitschaft angekündigt. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Wir werden uns freuen, wenn die angekündigten finanziellen Belastungen zurückgenommen werden. Dafür danken wir dem Bauernprotest. Ob darüberhinausgehende, grundsätzliche Reformen angepackt werden, kann bei der unterschiedlichen Interessenlage der Bauern, den leeren Staatskassen und den Ängsten vor dem Wahlvolk (bei steigenden Lebensmittelpreisen) bezweifelt werden.
Welche Konsequenzen zieht unser Biobetrieb daraus:
Wir bauen weiter und ohne Erwartungen an den Staat darauf, dass wir unsere Vorstellungen von nachhaltiger Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung gemeinsam mit unseren Kund:innen direkt umsetzen können. Wir freuen uns, für Menschen arbeiten zu dürfen, die den Wert guter Lebensmittel nicht in erster Linie am Preis messen. Und wir hoffen, dass die Einsicht in die Eigenverantwortung in der Bevölkerung wächst und zu einer neuen Graswurzelbewegung wird, die noch mehr direktvermarktenden Bauernhöfen eine nachhaltige, regionale Zukunft ermöglicht.”