Nachhaltige Leistungen von Unternehmen werden bislang nicht entsprechend honoriert. Neue EU-Bilanzregeln sollen dies ändern. Im FairBio-Interview erläutert Christian Hiß, Geschäftsführer der Regionalwert-Leistungen GmbH, die Vorteile der Grünen Bilanz für die Biobranche.

Im nächsten Jahr will die EU neue Bilanzregeln und Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung einführen. Was ist konkret geplant?

Im Rahmen des European Green Deals gibt es eine Reihe von Neuerungen, die neue Berichtspflichten zu Nachhaltigkeitsaspekten in der Unternehmensberichterstattung einführen. Die größte Relevanz für die Biobranche sehe ich in der geplanten Erneuerung der Richtlinie für Corporate Sustainability Reporting (CSRD), die derzeit noch im Europäischen Parlament und Rat diskutiert wird.

Der Kreis der Unternehmen, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen, soll erweitert werden: Zukünftig fallen dann alle Unternehmen, die zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: mehr als 250 Mitarbeiter, Bilanzsumme von über 20 Millionen Euro oder Umsatz von über 40 Millionen Euro. Zusätzlich sollen kleine und mittelgroße kapitalmarktorientierte Unternehmen prüfbaren Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte verpflichtet werden.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Biounternehmer?

Alle aufgeführten Unternehmen, nicht nur aus der Lebensmittelwirtschaft, werden zukünftig berichtspflichtig nach CSRD sein und Informationen zu Nachhaltigkeitsaspekten offenlegen müssen. Ich gehe davon aus, dass früher oder später auch kleinere Unternehmen Informationen über die Beschaffung ihrer Rohstoffe und Lieferanten bereitstellen müssen. Die Landwirtschaft ist zunächst nicht direkt betroffen, weil sie in der Regel nicht so groß sind. Aber die Einführung der neuen CSRD wird sie trotzdem betreffen, weil die berichtspflichtigen Unternehmen, die Daten und Informationen aus der Lieferkette für ihren eigenen Nachhaltigkeitsbericht benötigen. Ein Hinweis auf die zertifizierte ökologische Bewirtschaftung wird zukünftig nicht mehr ausreichen.

Die geplanten Regelungen stellen aus meiner Sicht eine große Chance für ökologischen Unternehmen dar. Im Geschäftsbericht hatte Ökologie bislang keine Relevanz. Eine Positivbewertung erfolgte alleine auf dem Produktmarkt. Zukünftig wird die Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens zum Teil des Geschäftsberichtes und kann – beispielsweise von Finanzpartnern bei der Kreditvergabe – zusätzlich positiv bewertet werden.

Foto:Bundjugend

Foto: bauerngarten.net

Die Regionalwert-Gruppe hat ein Instrument zur Berechnung nachhaltiger Leistungen für die Landwirtschaft entwickelt. Wie weit ist die praktische Umsetzung der Methode?

Mit unserem Rechen-Tool kann jeder landwirtschaftliche Betrieb offenlegen, wie nachhaltig er wirtschaftet. Die dadurch gewonnenen Informationen können nach innen für die Steuerung des Betriebes und nach außen zur Transparenz gegenüber den Anspruchsgruppen verwendet werden. Bewertet werden 300 Kennzahlen aus den Bereichen Ökologie, Soziales und Regionalökonomie, wie Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Wirtschaftliche Souveränität oder Ausbildung. Die Regionalwert AG Freiburg hat die Methode über einen langen Zeitraum von 15 Jahren entwickelt. Seit Sommer 2021 wird das Tool durch die Regionalwert Leistungen GmbH, unter anderem in Kooperation mit den regionalen Regionalwert AGs, in der Praxis eingesetzt.

Was wird dabei konkret berechnet?

Jeder landwirtschaftliche Betrieb erbringt eine Vielzahl von Leistungen zur nachhaltigen Betriebsführung, die teilweise dem Gemeinwohl und teilweise der langfristigen Produktivität des Betriebes zugeschrieben werden können. Nachhaltige Betriebsführung bedeutet für Landwirt*innen aber immer Aufwand – dieser wird von der Regionalwert-Leistungsrechnung erfasst, bewertet und monetarisiert. Das Rechen-Tool weist die Summe aus, die ein landwirtschaftlicher Betrieb bräuchte, damit seine Nachhaltigkeitsleistungen adäquat vergütet sind. Das Instrument ist seit Mitte 2021 für alle landwirtschaftlichen Betriebe, nicht nur für ökologische, online anwendbar und wird auch von verarbeitenden Betrieben genutzt, um die Nachhaltigkeit innerhalb ihrer Lieferbetriebe durch finanzielle Anreize gezielt steuern zu können.

Sie wollen mit der Berechnungsmethode nachhaltige Leistungen der Biolandwirtschaft handelbar machen. Wie soll dies in der Praxis funktionieren? 

Die Regionalwert Leistungsrechnung monetarisiert die sozialen, ökologischen und regionalen Mehrwerte eines Betriebes. Dieser errechnete Geldwert ist als Preisvorschlag des landwirtschaftlichen Betriebes an seine Anspruchsgruppen zu verstehen. Auf welche Art diese Leistungen dem Betrieb bezahlt werden, ist noch offen. Die Möglichkeiten reichen von der Bezahlung durch die Lieferkette bis hin zu öffentlichen Mitteln. Vor allem für die vom Betriebe erbrachten Leistungen für das Gemeinwohl, wären öffentliche Gelder sinnvoll.

Eine andere Option wäre ein öffentlicher Marktplatz über den Betriebe ihre nachgewiesenen Mehrwerte anbieten können. Die Varianten, die einen parallelen Geldstrom zu den Verkaufserlösen der Produkte sind, könnten Bioprodukte am Markt günstiger machen, da die nachhaltigen Leistungen nicht mehr in die Produktpreise internalisiert werden müssen.

Welchen Vorteil kann das Konzept Bioherstellern und Biohändlern bieten?

Die Händler und Hersteller werden auf diese Weise dem Wunsch der Verbraucher*innen nach Transparenz über die tatsächlich erbrachten Leistungen in oder hinter den ökologischen Produkten gerecht. Zugleich bereiten sich die Unternehmen mit der Regionalwert-Leistungsrechnung – die gleichzeitig auch eine Nachhaltigkeitsanalyse ist – optimal auf die zukünftigen EU-Anforderungen vor und können Risiken und Abhängigkeiten innerhalb ihrer Lieferkette erkennen und minimieren. Außerdem erlangen sie durch eine glaubwürdige, wertebasierte Nachhaltigkeitskommunikation einen deutlichen Marketingvorteil.

Biofach Aktuell: Die “Grüne Bilanz” im Biofachkongress: Hiß

Hier geht es zum praktischen Rechenbeispiel: