Die Preise im Bioregal stehen häufig in Fokus. Wie sie entstehen, wird bislang weniger diskutiert. Das könnte sich nun ändern. Produktionskosten und Margen rücken in den Fokus der Debatte.

Welchen Preis brauchen Landwirte und Verarbeiter für ihre Produkte, um zukunftsfähig zu wirtschaften? In den Verhandlungen mit den großen Handelskonzernen haben die Vorstufen derzeit wenig Macht. Die Kalkulation der Preise erfolgt in der Regel vom Regal aus rückwärts: Die Landwirte erhalten am Ende den Betrag, der übrig bleibt.

Den Landwirten fällt es jedoch zunehmend schwerer, bei dieser Kalkulationsmethode kostendeckend zu wirtschaften. Zeitgleich explodieren die Regalpreise. Dabei hat sich Teuerungsrate bei Lebensmitteln längst von der Gesamtinflation entkoppelt. Nahrungsmittel sind zwischen Juni 2022 und Juni 2023 um 13,7 Prozent teurer geworden. Die Gesamtinflationsrate lag im Juni bei plus 6,4 Prozent. Dieser Trend zeichnet sich auch in anderen europäischen Ländern ab. Wie die Lebensmittel Zeitung berichtete, hat diese Entwicklung in Österreich bereits die Bundeswettbewerbsbehörde auf den Plan gerufen. In einer Ermittlung wurden dazu mehr als 1 000 Lieferanten befragt. In der Schweiz spreche der staatliche „Preisüberwacher“ Stefan Meierhans explizit von einer „Gierflation“ und wolle die Preise im LEH genauer unter die Lupe zu nehmen.

Schweizer stellen Lebensmittelpreise auf den Prüfstand

Auch in der Bio-Wertschöpfungskette brodelt es schon lange. Mit dem Marktwachstum stoßen die Kämpfer für ein anderes Wirtschaften und faire Partnerschaften in ganz Europa auf der Handelsseite an ihre Grenzen. In der Schweiz wirft das Nachrichtenmagazin „Blick“ im April den Händlern vor, bei Bioprodukten eine massiv zu hohe Marge abzuschöpfen. Nach einer Erhebung des Konsumentenmagazins Saldo sei die Gewinnmarge bei Bio viel höher als bei Produkten aus normalem Anbau.  „Immer weniger des Konsumentenfrankens gelangt bis zur Landwirtschaft. Jede Stufe zieht ihre Kosten und Gewinnmargen ab. Der Landwirt bekommt, was übrig bleibt“, beklagt Schweizer Bauernverband gegenüber der Nachrichtenplattform Watson Ende vergangenen Jahres die Missstände. Dies sei besonders bei umwelt- oder tierfreundlich produzierten Produkten umso ärgerlicher, weil es verhindere, dass die Landwirte für die Mehrleistungen korrekt entschädigt werden. Der Verband fordert deshalb, dass die Transparenz bei der Preisbildung verbessert wird und die Händler angemessene Produzentenpreise bezahlen.

In Frankreich werden die Gewinnspannen ebenfalls heiß diskutiert.  Das Fruchtportal Freshplaza berichte bereits 2017 über eine Berechnung der französischen Verbraucherschützer. Die Union fédérale des consommateurs (UFC) ermittelte für biologische Produkte eine Gewinnspanne von durchschnittlich 96 Prozent. Diese sei damit  zweimal so hoch wie für konventionelle Vergleichsprodukte. In Österreich prangerte die Plattform Oekoreich  den “Bio-Wucher” an und verweist dabei auf die englische Kearny-Studie „Why todays pricing sabotages sustainability“. Wir stellen die übersetzte Studie hier vor.

Deutsche Wettbewerbshüter sehen keinen Handlungsbedarf

Ohne gesetzliche Rahmenbedingung kann eine gerechte Fairteilung in der Bio-Wertschöpfungskette kaum umgesetzt werden. Die Bioverbände haben sich mit ihren Regeln bislang stark auf die Anbaurichtlinien konzentriert. Bei Mechanismen für eine faire Preisgestaltung in der Wertschöpfungskette – wie in den FairBio-Richtlinien festgelegt – besteht auf Verbandsseite noch Nachholbedarf.  Im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarländern sieht die deutsche Wettbewerbsbehörde keinen Handlungsbedarf. „In Deutschland ist die Fairteilung des Ertrages meines Wissens bei den politischen Entscheidern noch kein Thema. Die großen Konzerne blocken, weil sie den eigenen Anteil an der Wertschöpfung nicht preisgeben möchten“, erklärt Unternehmensberater Klaus Braun im FairBio-Interview. Es müsse dringend ermittelt werden, was Landwirte, Verarbeiter, Logistiker und Händler jeweils brauchen, um ihre Kosten zu decken.

„Der LEH agiert insgesamt preisfriedlich und realisiert eher hohe Spannen, weil er Bio als Premiumsegment einsetzt“, schätzt Agrarprofessor Achim Spiller von der Uni Göttingen. Die günstigeren Biopreise im Vergleich zu Fachhandel und Direktvermarktung seien kein Zeichen für einen Preiskrieg. Eine deutlich effizientere Logistik lasse im LEH noch Spielraum für Preissenkungen, dies sei aber wahrscheinlich bisher nicht gewünscht.

Die Wertschöpfung in der Bio-Lieferkette fair teilen

Ein erster Ansatz ist der gemeinsame Vorstoß der Allianz Faire und ökologischen Marktwirtschaft“. Ziel des informellen Netzwerkes ist es, faire Handelspraktiken als Grundlage einer nachhaltigeren, gerechteren und somit auch zukunftsfähigen Wirtschaft zu etablieren. Die Allianz wird von einem informellen Netzwerk aus führenden Unternehmen, Verbänden und Vereinen aus der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft wie auch dem FairBio Verein unterstützt. Mit Aldi und Rewe haben bereits zwei große Handelskonzerne entsprechende Absichtserklärungen unterzeichnet.

Ein zweiter Ansatz ist die grundsätzliche Trendumkehr in der Preiskalkulation. Basis für die Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel sollen die Produktionskosten der Landwirte sein. Für Bio-Milch haben Bioland und Naturland, deren Mitglieder zusammen mehr als die Hälfte der heimischen Bio-Milch produzieren, einen gemeinsamen Orientierungspreis von 67 Cent ermittelt. „Die Bio-Milchpreise entfernen sich aktuell immer weiter von dem, was Betriebe, die nach den hohen Standards von Bioland und Naturland arbeiten, für eine kostendeckende Produktion brauchen. Es liegt in der Verantwortung der Partner entlang der Wertschöpfungskette, hier für die notwendige preisliche Stabilität zu sorgen“, fordern die beiden Präsidenten der Verbände, Jan Plagge und Hubert Heigl in einer gemeinsame Mitteilung.

EU-Kommission unterstützt Vorstoß der Verbände

Eine Weiterentwicklung des Orientierungspreises als verbindliche Nachhaltigkeitsvereinbarung unter Art. 210a GMO („Gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse“) ist im nächsten Schritt denkbar. Diese neue EU-Ausnahme vom Kartellrecht will den Landwirten langfristige Partnerschaften mit ihren Abnehmern und kostendeckende Preise für freiwillige Nachhaltigkeitsleistungen in den Bereichen Tierwohl, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft, Klima- und Umweltschutz ermöglichen.

Den Orientierungspreis für Bio-Milch haben die Beratungen der beiden Verbände jeweils auf Basis einer Vollkostenrechnung ermittelt. Darüber hinaus werden die Vollkosten bei Bioland und Naturland zusätzlich bestimmt durch das höhere Tierwohl in der Haltung, Bio-Futter aus eigener regionaler Erzeugung sowie Leistungen für Biodiversität, Klima- und Umweltschutz. Bislang wird dieser Orientierungspreis  als „unverbindliche“ Preisempfehlung kommuniziert. Für Bioland-Chef Plagge ist eine Weiterentwicklung zu einer rechtsverbindlichen Vereinbarung jedoch durchaus denkbar.

In der Gemeinsamen Marktorganisation der EU (GMO) ermöglicht der neue Artikel 210a konkrete Ausnahmen vom Kartellrecht, wenn die Vereinbarungen innerhalb der Lebensmittellieferkette Nachhaltigkeitsziele erfüllen. Die Verbände sehen den Orientierungspreis daher als Musterfall für die neue Vorschrift und fühlen sich von der  EU-Kommission ermutigt, diesen Weg weiter zu verfolgen.